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Neuanfertigung des Ruhesteins 
für die Gangfeder eines
Taschenchronometers
 
© Hermann Sacher  2001


Neuanfertigung des Ruhesteins für die Gangfeder eines Taschenchronometers von L. U. Jürgensen

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Inhaltsübersicht

Anmerkung:
Ein Beitrag für die UhrenH@nse von Hermann Sacher. Der Autor übernimmt keine Garantie für die Funktion und das Verfahren. Du  findest alle Ergebnisse seiner umfassenden Jürgensen Forschung in englischer Sprache auf seiner Homepage

Fragen und Informationen an/für den Autor Hermann Sacher.

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Einleitung

Im Gegensatz zu Spezialproblemen, wie Chronometerfedern etc., finden sich über die Herstellung von Lagersteinen und Paletten aus Rubin oder Saphir (früher ausschließlich Naturmaterial) praktisch keine Mitteilungen, weder in der alten noch neuen Literatur.

Aus der Geschichte ist ja schon bekannt, dass die Erfindung, Edelsteine zu bohren und als Lagersteine für Uhren zu benützen - eine im Vergleich zur Entwicklung der Uhren späte Technik - in England lange Zeit ein streng gehütetes Geheimnis - war. Als das Geheimnis entschleiert und nach Genf mitgenommen wurde, wurde es dort in gleicher Weise geschützt.

Urban Jürgensen gelang es mit Mühe und unter Einsatz von Geldzahlungen, dort eingeweiht zu werden. Sein Argument war, wenn er in Kopenhagen eine moderne (d. h. Präzisions-) Uhrmacherei einrichten wollte, würde ihn der Bezug von Steinen aus London oder Genf zu sehr einengen und belasten.

So ist mir gegenwärtig, abgesehen von einigen Angaben bei George Daniels, nur eine (uralte) grundlegende Veröffentlichung bekannt, nämlich 

 „Die Kunst, Edelsteine für die Zwecke der Uhrmacherei zu bearbeiten“,
 
nach Dumontier, Professor der Mechanik und Urban Jürgensen, Uhrmacher der königlich dänischen Marine in Kopenhagen,
Weimar 1845,  Verlag, Druck und Lithographie von Bernh. Fr. Voigt

 ein wahrscheinlich von Urban Jürgensens Söhnen, Urban starb bereits 1830, nicht autorisierter Druck.


Zur Aufgabenstellung

Die wenigen Unternehmen, die heute Steine aller Art für die Uhren- und andere Industriezweige herstellen (heute ausschließlich künstlich gewonnenes Material), verfügen zwar über bunte Prospekte auf Hochglanzpapier, Veröffentlichungen technischer Art - gibt es überhaupt einen Fachverband mit entsprechender Veröffentlichungsplattform ? - sind mir völlig unbekannt.

Bei meinen Besuchen bei Frau Gisela Gocht in Glashütte, Herrn Jutzeler in Le Brassus oder der Firma Frieden SA in Balerna bin ich stets sehr freundlich behandelt worden. Auch wurde ich durch Betriebe geführt und wurden mir Techniken gezeigt, aber schriftlich Niedergelegtes war nicht aufzutreiben.

Das Problem wird immer dann virulent, wenn einzelne Steine zu ersetzen sind, oder Steine nach besonderem Maß angefertigt werden müssen. In ersterem Fall wählt der Uhrmacher aus seinem mehr oder weniger umfangreichen Fundus ein Stück, welches im schlimmsten Fall zu passen hat, in letzterem muss eine größere Menge als Sonderanfertigung zu unerschwinglichem Preis abgenommen werden. So bleibt nichts übrig, als sich wieder einmal selbst mit der Anfertigung eines Einzelstücks, im vorliegenden Fall eines Ruhesteins für eine Chronometergangfeder, zu beschäftigen.

Entsprechend der Gewohnheit in der 1. Hälfte des 19. Jh. und von den noch vorhandenen Bruchstücken ablesbar handelt es sich bei dem neu herzustellenden Ruhestein um einen zylindrischen Stift von 0,51 mm Durchmesser und ca. 3,0 mm Länge, der im Bereich seiner Befestigung in der entsprechenden Hülse der Chronometergangfeder (ca. ½ seiner Länge) rund belassen und im Bereich der Ruhefläche (ebenfalls ca. ½ seiner Länge) auf die Hälfte des Durchmessers flach geschliffen werden muss. Der zylindrische Teil des Steins und die Ruhefläche ist hochfein zu polieren, die Kanten des Übergangs von der Ruhefläche zum Halbzylinder sind leicht zu verrunden, und die Stirnfläche des verbliebenen Halbzylinders ist dachförmig abzuschrägen und ebenfalls zu polieren.

Aus dem Allgemeinwissen über die Edelsteinschleiferei ist bekannt, dass Diamantpulver als Poliermittel und Kupfer als dessen Träger eine entscheidende Rolle spielt. Alles andere, insbesondere der Einsatz von im wesentlichen auf die Bearbeitung von Stahl und Messing ausgelegten Werkzeugen und Maschinen, muss selbst herausgefunden und ausprobiert werden.


Vorbereitung

Werkstoff:

  • Zylindrische Rubin- oder Saphirstifte, Ø ca. 1,5 mm, Länge ca. 6 mm, nicht poliert

Solche Stifte konnten, dafür ist sehr zu danken, zu günstigem Preis von der Firma Frieden SA in Balerna, CH bezogen werden.

Verbrauchsmaterial:

  • Messingstangen gelocht (Bergeon)

  • Sekundenkleber

  • Schellack in Plättchen

  • Kriechöl, z. B. WD 40 als Kühlmittel

  • Diamantpaste 16 μ, und dito 8 μ

  • Kupferblech 4 mm (Rundmaterial Ø 30 mm wird kaum zu bekommen sein.)

Maschinen, und Werkzeug:

  • Schaublin 70 mit Höhensupport

  • Diamantschleifscheiben grob, fein

  • Firma Diametall (Diamant keramisch gebunden)

  • Abrichtscheiben, Korund für Diamantscheiben,   grob, fein 

  • Rolliergerät als Zusatz für Schaublin 70 bzw. Favorite

  • 1/100 Messuhr mit Messklauen

Vorbereitende Arbeiten:

Planrichten der Diamantscheiben:
Di
amantscheibe dreht langsam im Spindelstock, Abrichtscheibe dreht schnell im Höhensupport, wenig zustellen, Drehbank sorgfältig abdecken, Schleifstaub mit Staubsauger schon während des Abrichtens absaugen. 

Abrichten der Diamantschleifscheibe - Bild zum Vergrößern bitte anklicken Abbildung 1

Aus dem Kupferblech zwei Scheiben Ø ca. 30 mm als Ansatz für den Rollierapparat zum Wechseln drehen; möglichst mit Stahlfassung, da auch nach häufigem Wechseln einwandfreier Rundlauf gewährleistet sein muss.

Der Zapfenrollierautomat ... - Bild zum Vergrößern bitte anklickenAbbildung 2

Herstellen von Halterungen für die Rohsteine aus den Messingstangen, einseitig aufgebohrt in den notwendigen Durchmessern ca. 1,5 mm,   0,6 mm, 0,55 mm und 0,51 mm.

Grundsätzlich mehrere Werkstücke zur Bearbeitung vorbereiten und jeden Schritt für alle Stücke gemeinsam abarbeiten !

Rohsteine einlacken (Sekundenkleber).

>> Soll – Ø des fertigen Stücks = 0,51 mm !


Arbeiten

1. Arbeitsschritt:
 
In Halter eingelackten Rohstein in Spindelstock einspannen,
langsam drehen lassen. Grobkörnige Diamantscheibe in Höhensupport einspannen und bei mittlerer Drehzahl Stein auf 0,60 mm herunterschleifen.

Zustellen anfänglich 1/10 mm, später weniger. Vorschub sehr vorsichtig dosieren, auf Geräusch achten.  Stein mit WD 40 benetzt halten, flach geschnittenes Putzholz mit daran haftendem Tropfen leicht am Stein anliegen lassen.

2. Arbeitsschritt:
Umlacken in vorbereitete neue Halter und „dickes Ende“ ebenfalls auf 0,6 mm herunterschleifen. Beim Einspannen auf guten Rundlauf achten !

Das Aushärten des Sekundenklebers wird beschleunigt durch kurzes Erwärmen in einer milden Gasflamme (Kleber nicht verbrennen lassen!). Das Ablacken erfolgt ebenfalls durch Erwärmung. Reste von Sekundenkleber werden, wenn nötig, durch Einweichen in Lösemittel (Ethyl-Methyl-Keton) beseitigt.

Beim Schleifen ist sehr auf möglichst genaues Einhalten der gewählten Durchmesser zu achten, da nur so beim Umlacken ein ausreichend guter Rundlauf gewährleistet ist. (Gute Bohrer der hier benötigten Querschnitte bohren das Loch etwa 1/100 größer.)

Mit der feinkörnigen Diamantscheibe feinschleifen auf 0,55 mm.

3. Arbeitsschritt:
In Halter eingelackten Rohstein in Spindelstock einspannen,
langsam drehen lassen. Spindel des Höhensupports blockieren und Rollierapparat einspannen. Mittels der vorbereiteten Kupferscheiben auf das Endmaß polieren. Auf guten Rundlauf achten, da nur noch 4/100 Übermaß vorhanden sind.

... Fräßspindel ... - Bild zum Vergrößern bitte anklickenAbbildung 3

3/100 mit der groben Diamantpaste  die eine Scheibe, 1/100 mit der feinen Diamantpaste die andere Scheibe abarbeiten, Zustellung in höchstens 1/100 - Schritten. Gut mit WD 40 benetzt halten !

Die zwei Kupferscheiben dürfen beim Auftrag der Diamantpaste nicht verwechselt werden !

Da der Stein in „fliegender“ Einspannung bearbeitet werden muss, dürfen sich Stein und Schleifkörper kaum berühren (Bruchgefahr wegen zu hohem seitlichem Druck), sondern sollen sich in einer „Packung“ von zähflüssiger Diamantpaste abwälzen.

Wegen der notwendigen ständig zu wiederholenden Seitwärtsbewegung beim Poliervorgang ist die Verwendung eines Hebelsupports vorteilhaft.

4. Arbeitsschritt:
Den so weit bearbeiteten Stein auf die erforderliche Endlänge (ca. 3,0 mm) in den Halter mit der Bohrung Ø = 0,51 mm einlacken. Wegen der besseren Fließeigenschaften jetzt Schellack verwenden, nicht zu heiß werden lassen (der Lack muss schmelzen und darf nicht verbrennen).

Im Gegensatz zu den für den Poliervorgang des zylindrischen Körpers zu verwendenden dünnen Haltern ist hier ein stabilerer Halter vorteilhaft.

In Spindelstock einspannen und überstehendes Steinmaterial entfernen.

Spindelstock arretieren, zweckmäßigerweise Teilapparat anbauen. Mit der grobkörnigen Diamantscheibe im Höhensupport das Ende des Halters in der erforderlichen Länge (ca. 1,5 mm) auf 2/3 flach schleifen. Mit der feinkörnigen Diamantscheibe auf die reichliche Hälfte nachschleifen. Die so entstandene Ruhefläche polieren wie unter Arbeitsschritt 3 beschrieben, natürlich mit festgestelltem Spindelstock.

Dachförmige Fläche anschleifen und nachpolieren.

5. Arbeitsschritt:
Halter entsprechend der Länge des eingelackten Steins abstechen.

Abgetrenntes Halterende auf dem Anlasspfännchen erwärmen und Stein vorsichtig herausdrücken z. B. mit einer sehr dünnen (abgebrochenen) Reibaale.

6. Arbeitsschritt:
Stein nochmals möglichst kurz in Halter einlacken und auf einen dünnen Trägerstreifen (Messing) auflacken; die Kanten der Ruhefläche von Hand (Holz mit Diamantpaste) leicht verrunden.
 

Ablacken, reinigen (Ethyl-Methyl-Keton - bitte mit Chemikalien sorgsam umgehen), fertig !


Resümee

Manches hört sich, in schriftlicher Form wiedergegeben, komplizierter an, als es ist. Manches andere hingegen ist schwieriger zu bewerkstelligen, als es sich anhört. Auch lässt sich mit Bildbeispielen wenig veranschaulichen. Geduld und viel Übung wird allemal verlangt, d. h. ein ordentlicher Vorrat an Rohsteinen ist unerlässlich.

Wenn der Ruhestein nun fertig daliegt, wird man mit Erstaunen feststellen, wie klein er in Wirklichkeit ist. Andererseits besagt dies, dass auch sehr kleine Werkstücke gut und genau zu bearbeiten sind, wenn man sie nur richtig halten und einspannen kann. Allerdings muss man sein Werkzeug und besonders die zum Einsatz gelangende Drehbank gut kennen und sich z. B. auf ihre gleichmäßige Reaktion beim Zustellen verlassen können.

Wie schon bei früheren „Sonderanfertigungen“ bin ich meinem Freund, René Rietmann aus Zollikon (CH), der mir immer mit Rat und Tat zur Seite steht und mich zum Durchhalten anspornt, ganz besonders dankbar. Ohne ihn könnte ich niemals mit den auch schon in der Vergangenheit erzielten Ergebnissen aufwarten.

Hermann Sacher,  Mai 2001


Hier findest Du seine Restaurierungsberichte zum Taschenchronometer L U J von Louis Urban Jürgense:

 

Alle Ergebnisse seiner Jürgensen Forschung findest Du in englischer Sprache hier.

Für weitere Informationen wende Dich bitte an: Hermann Sacher


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